Fotos Martina Himmel-Stuke, aufgenommen im Rahmen der Reitkunst Matinée des Netzwerks Akademische Reitkunst am 15.09.19 in Bischoffen-Wilsbach
Wenn Pferde anderen Artgenossen begegnen, folgt die gegenseitige Begrüßung gemäß klar definierter Regeln. Dieses Begrüßungsritual übertragen Pferde auch auf andere Lebewesen, wie uns Menschen, Hunde oder die Stallkatze.
Doch auch tote Gegenstände werden auf diese ritualisierte Weise begrüßt, was sich die Horsemanship über das Spiel des Touch down zunutze macht.
Eine am Rande der Akademischen Matinée des Netzwerks Akademische Reitkunst entstandene Bilderfolge von meiner jungen PRE-Stute Havanna und einem Holzpferd gibt mir die Möglichkeit, dieses Begrüßungsritual näher zu beleuchten. Denn je besser wir unsere vierbeinigen Freunde in ihren Handlungen verstehen, desto besser können wir Konflikte im täglichen Umgang vermeiden.
Havanna hat das Holzpferd der Reitschule entdeckt und nähert sich zielstrebig mit ihrem Maul dem Maul des Holzpferdes. Vorne am Pferdemaul befindet sich der sogenannte Begrüßungspunkt. Wenn sich die Pferdesnüstern bei der Begrüßung berühren, wird ähnlich wie beim menschlichen Händeschütteln jede Menge Information miteinander ausgetauscht.
Für Havanna scheint es keinen Unterschied zu machen, dass ihr Gegenüber nicht lebt. Sie behandelt den toten Gegenstand wie ein lebendiges Pferd. Dass sie sich zielstrebig der Holzschnauze nähert, zeigt mir, dass Havanna die Silhouette eindeutig als "Pferd" erkennt.
Dies wird auch durch das nächste Foto bestätigt:
Havanna testet ihr Gegenüber, indem sie den nächsten Knopf betätigt, den Wegschickpunkt an der Backe.
Zur Kommunikation gehört neben dem Begrüßungsritus auch ein Abchecken, mit wem pferd es zu tun hat. Für jedes Pferd ist die eigene Position in der Pferdeherde von fundamentaler Bedeutung.
Die Beobachtung von Wild- wie auch Hauspferdeherden hat gezeigt, dass jedes Herdenmitglied eine Art Blase um sich herum hat. Diese Blase definiert den Individualraum, in den andere Herdenmitglieder nur auf persönliche Einladung hereinkommen dürfen. Je höher die eigene Position in der Herde ist, desto mehr Freiraum kann sich das Pferd nehmen und in die Blase des rangniederen Pferdes eindringen. Die Individualblase eines ranghöheren Pferdes wird dagegen respektiert, wohl wissend, dass sonst handfeste Konsequenzen drohen.
Zurück zu Havanna. Nach der freundlich-neutralen Begrüßung von Nüster zu Nüster probiert Havanna sofort, ob sie das andere Pferd wegschicken kann. Indem sie den Punkt an der Backe ihres Gegenübers berührt, signalisiert sie dem anderen Pferd, dass es seinen Kopf oder auch die Vorhand aus ihrer persönlichen Blase entfernen soll.
Wie nicht anders zu erwarten, zeigt das Holzpferd sich unbeeindruckt von Havannas Aufforderung, aus ihrer Blase zu weichen ;)
Diese Standhaftigkeit bleibt nicht ohne Wirkung auf Havanna. Beschwichtigend berührt sie wieder den Begrüßungsknopf an der Nüster, wie wenn sie dem anderen Pferd sagen wollte "War ja nur eine Frage".
Diese Bilderfolge, die ich in der original Reihenfolge wieder gegeben habe, entstand rein zufällig am Rande einer Veranstaltung, und ist doch so wertvoll. Zeigt sie doch eindrücklich die verschiedenen Stufen des Begrüßungsrituals zwischen Pferden und anderen Wesen.
Sie lässt auch Rückschlüsse darauf zu, dass Pferde Gegenstände erkennen können. Kommuniziert Havanna doch eindeutig mit dem Kopf, der Nüster und der Backe eines Holzpferdes.
Darüber hinaus zeigt diese Bilderfolge auf, dass Selbstbewusstsein - Havanna macht den ersten Schritt zur Kontaktaufnahme und fragt als erstes, ob der andere
bitte weichen würde - und Höflichkeit kein Widerspruch sind. Weil das Holzpferd keine Anstalten macht, aus Havannas Blase zu verschwinden, besänftigt sie es freundlich durch den letzten
Nüsternkontakt.
Was können wir Menschen von der Sprache der Pferde lernen? Wenn wir uns am pferdischen Begrüßungsritual orientieren, können wir unsere Beziehung zum Pferd nachhaltig verbessern. Statt beim Erstkontakt übergriffig irgendwo am Pferdekörper herumzufummeln, könnten wir erst einmal respektvoll mit dem Handrücken der ausgetreckten Hand die Nüster berühren.
Wird das Pferd dagegen zu aufdringlich und beansprucht unseren Individualraum, auch wir Menschen haben diese Blase um uns herum, kann es freundlich aber bestimmt durch eine Berührung am Backenknopf weggeschickt werden.
Aber vielleicht passiert auch genau das Gegentgeil und das Pferd wünscht keinen Kontakt. Viel zu oft wird diese Aussage vom Menschen ignoriert und das Pferd trotzdem aufgehalftert, geputzt, gesattelt oder was sonst auf dem Programm steht. Es ist nicht schlimm, wenn ein Pferd bei der ersten Anfrage nicht gleich in Begeisterungsstürme ausbricht. Wir Menschen sollten respektieren, dass das Pferd gerade nichts mit uns zu tun haben möchte und uns erst einmal zurück ziehen. Es wird seine Gründe haben, und die müssen gar nichts mit uns persönlich zu tun haben. Eine zweite freundliche Anfrage wird dann oft mit einem Ja beantwortet.
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Martina (Montag, 07 Oktober 2019 01:59)
Wie wahr!
Einfach durch Natürlichkeit - und sie erklären es uns so lange bis wir es verstehen!
Natural halt :)