Rückblick auf das Themenseminar zur Parade mit Bent Branderup, November 2017
von Alexandra Bohl
Photos Céline Rieck, Sophia Hardorp und eigene.
Wer den Begriff Parade hört, denkt meist an eine Tätigkeit der Reiterhand am Pferdekopf bzw. im Pferdemaul. Weit gefehlt. In seinem Themenseminar zur Parade verdeutlichte Bent Branderup eindrücklich, was eine Parade wirklich ist.
Schon Xenophon hat sich im vierten Jahrhundert vor Christus mit dem Thema der Parade befasst. In Kurzform beschreibt er sie so: Die Hinterbeine nach vorne reiten, dann eine Parade geben, die jedes einzelne Gelenk der Hinterhand beugt.
Dieser eine Satz, so Bent Branderup, bringt die Reitkunst auf den Punkt.
Eine Parade soll also die Gelenke der Hinterhand beugen.
Anders ausgedrückt: Die Parade ist das Gefühl der Abwesenheit jeglichen Widerstands.
Spätestens an dieser Stelle wird klar, dass das mit der Parade gar nicht so einfach ist. Denn nur zu oft entsteht erst mit dem, was wir für eine Parade hielten, ein Gefühl der Schwere:
Das Pferd versteift sich im Genick. Es legt sich auf die Hand. Schlimmer noch, es versucht, die Zügel aus der Hand zu ziehen. Oder es verkriecht sich hinter dem Zügel. Die Tritte werden schleppend, Taktunreinheiten zerstören die Grundgangarten. Statt die Gelenke der Hinterhand zu beugen, schieben die Hinterbeine mit versteiften Gelenken nach hinten raus. Gar nicht gut.
Laut Bent Branderup hat die Parade die Funktion, mit der Hand ins Pferd hinein zu horchen. Sie soll uns helfen, die Konsequenzen der Handlungen unserer Hände besser zu verstehen.
Meist können wir die Hinterbeine mit unseren Augen gar nicht sehen. Sie befinden sich hinter uns. Egal ob wir das Pferd vom Boden oder vom Sattel arbeiten.
So können wir die Parade als eine Art Sinnesinstrument verstehen.
Von der Erarbeitung der Parade, die drei Descentes
Es gibt verschiedene Formen der Parade, die als die drei Descentes beschrieben sind. Sie können im Stehen und/oder in der Bewegung, vom Boden und/oder vom Sattel aus erarbeitet werden. Diese verschiedenen Ansätze bieten die Möglichkeit, individuell auf die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Pferdes einzugehen.
Das 1. Descente
Das Pferd lernt, sich im Vorwärts-abwärts an die hoffentlich nachgiebige Reiterhand
heranzudehnen. Damit das funktioniert, muss das Pferd in der Oberlinie entspannen. Entsprechend verkürzen sich die Gegenspieler der Unterlinie. Um dies zu
erarbeiten, ist das Schulterherein eine hervorragende Übung.
Hand vor - Bauch vor. Mit dem Verschieben des Reiterschwerpunktes nach vorne, folgt der Pferdeschwerpunkt ins Vorwärts abwärts. Im Schulterherein richtet sich der
Reiterschwerpunkt entlang der inneren Schulter nach vorne-unten.
Häufige Fehler sind ein zu tief des Pferdes, das Pferd kommt auf die Vorhand. Viele Reiter sind unsicher, wo ein korrektes Vorwärts-abwärts endet und ein falsches Vorwärts-rückwärts beginnt. Sie trauen sich deswegen gar nicht, ihrem Pferd die Dehnungsmöglichkeit zu geben. Das ist genauso fatal, wie das Pferd auf der Vorhand latschen zu lassen.
Tatsächlich müssen Blick und Gefühl sorgfältig geschult werden, um das korrekte Vorwärts-abwärts zu erkennen. Um das zu lernen, gibt es übrigens gute ReitlehrerInnen. Das Pferd soll seinen Widerrist wie einen Hebel einsetzen, über den es mit dem Hals in die Tiefe sucht.
Wie tief die Nase Richtung Boden darf, hängt auch von der Tätigkeit der Hinterhand ab. Je weiter die Hinterbeine nach vorne unter die Masse vorgreifen, desto tiefer
darf im Verhältnis der Kopf. Auch die Vorderbeine geben Auskunft über die Korrektheit. Schwingen sie weiterhin nach vorne aus der Schulter raus, oder werden sie gebunden in den Boden gestoßen.
Wie intensiv muss das Stützbein stützen? Wird es weit unter das Bug hinein geführt? Dann haben wir es mit dem ungewünschten Vorwärts-rückwärts zu tun. Selbst unser Ohr kann uns helfen. Ein Pferd,
das auf der Vorhand läuft, fußt schwer und unelastisch auf. Die Tritte sind laut, die Gangart ist unbequem zu sitzen.
Das linke Bild zeigt meine Telynor mit vier Jahren. Entsprechend jung ist sie auch vom Ausbildungsstand. Daher kann sie in der Vorwärts-abwärts-Dehnung die Rumpfträger noch nicht lange aktivieren, das Hinterbein schiebt weit nach hinten hinaus.
Im rechten Bild die gleiche Lektion, fünf Jahre später.
Das Vorwärts-abwärts von Dusk im linken Bild hat eine starke Schubtendenz. Das innere Vorderbein stützt zwar nicht zu übertrieben weit unters Bug hinein, aber das innere Hinterbein schiebt weit nach hinten raus. Entsprechend reduziert sind der Vorgriff des vorschwingenden Vorder- wie Hinterbeins. Trotzdem ist das Pferd leicht in der Hand.
Im rechten Bild ist der Rückschub im Vorwärts-abwärts so weit abgekürzt, dass das innere Hinterbein weit unter die Masse hineingreift. Das äußere Vorderbein dürfte etwas freier vorschwingen. Bei der Abwärtsdehnung des Halses wird der Widerrist wie ein Hebel genutzt.
Gewichtsverlagerung Richtung Hinterhand, das 2. Descente
Wie wir uns erinnern, ist der Prüfstein für die Parade die Beugung der Gelenke der Hinterhand. Beim 2. Descente kommt die Schwerpunktverlagerung des Reiters nach hinten dazu. Dieser Schwerpunktverlagerung folgt automatisch die Reiterhand.
Ist das Pferd losgelassen, verlagert sich auch sein Schwerpunkt in Richtung Hinterhand. Es beginnt, mit der Hinterhand mehr Gewicht aufzunehmen.
Soweit die Theorie. Im Normalfall wird ein Hinterbein des Pferdes die Parade gut annehmen und mit einem Beugen reagieren. Das andere Hinterbein kann sich jedoch
versteifen und statt nachzugeben, nach hinten raus schieben. Hier hilft es, die Paraden im Wechsel auf die einzelnen Hinterbeine zu geben. Reagiert ein Hinterbein gut, dann kommt der Wechsel auf
das andere. Reagiert ein Hinterbein nicht gut, kommt auch der Wechsel auf das andere. So zwingt man das Pferd nicht zum Widerstand, sondern gibt ihm die Chance, auch mit dem steiferen Hinterbein
nach und nach geschmeidiger zu werden.
Auch kann es passieren, dass das Pferd als Reaktion auf die Schwerpunktverlagerung anfängt, kurz zu treten. Es vermeidet die Gewichtsaufnahme und verliert das Vorwärts. Hier hilft es, zum 1. Descente zurück zu kehren und mittels Hand vor - Bauch vor den Vorwärtsschwung wieder zu erlangen.
Damit repariert man auch einen häufigen Reiterfehler, mit der Hand rückwärts einzuwirken ("würgen", wie Bent Branderup immer sagt), statt zu geben.
Ist das Ziel die Versammlung im Schulterherein, verlagert sich der Reiterschwerpunkt in Richtung Schweifrübe.
Ist das Ziel die Versammlung im Kruppeherein, verlagert sich der Reiterschwerpunkt in Richtung innere Pferdehüfte.
Will ein Hinterbein seitlich ausweichen, wird es mit dem Unterschenkel wieder eingefangen.
Mit der Schulung des 2. Descentes verbessert sich die Balance des Pferdes. Ein ausbalanciertes Pferd ist losgelassen und verschleisst weder Gelenke noch Hufe einseitig.
Im 2. Descente verlangen wir vom Pferd also schon mehr Versammlung mit Beugung der Hinterhand, die Bereitschaft zum Vorwärts-abwärts-Suchen bleibt jedoch
Bestandteil.
Auf den Hanken, das 3. Descente
Im 3. Descente steigert sich der Versammlungsgrad des Pferdes noch einmal mehr, so dass es die Hanken verstärkt beugt. Auch dies wird aus dem Sitz erzeugt und von der Hand begleitet. Während das Reiterbecken stärker abkippt und sich der Schwerpunkt in Richtung beider Hinterbeine verlagert, ist es wichtig, das Vorwärts zu erhalten.
Die Hand muss leicht bleiben. Mit dem Sinkenlassen der Hand überprüfen wir, ob das Pferd am Sitz und in der Versammlung bleibt.
Die Versammlungsfähigkeit eines Pferdes ist von vielen Faktoren abhängig. Neben Ausbildungsstand und Training spielen auch Körperbau, Alter und Gesundheit eine wichtige Rolle. So liegt es in unserer Verantwortung, das Pferd nicht zu überfordern, indem wir einer "Idealvorstellung" nachhängen.
Der Sitz muss offen bleiben. Das bedeutet, dass die Oberschenkelmuskulatur so entspannt, dass der Reiter mehr und mehr in das Pferd hinein sinkt. Förmlich mit ihm verschmilzt. Die Gertenhilfe auf der Kruppe kann dem Pferd zusätzlich erklären, dass es im Becken abkippen soll. Verliert das Pferd in der Versammlung die korrekte Biegung/Stellung, so korrigiert der Bügeltritt die Brustkorbrotation.
Die Triade. 1., 2. und 3. Descente:
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Anja Rut Hebel (Samstag, 02 Dezember 2017 12:44)
Wundervoll erklärt, liebe Alexandra! Vielen Dank! Vor allem deine Erklärungen zum ersten Descenté fand ich sehr gelungen. Viel zu oft sieht man Pferde, die sich nicht trauen, an die Hand heranzusuchen und sich zu dehnen, weil man als Reiter die Buggelenkshöhe als Ideal im Kopf hat. Der Halsansatz und die natürliche Aufrichtung entscheiden, wie tief das Pferd mit der Nase kommen muss, um den Unterhals als wichtigsten Gegenspieler der Rumpftragemuskulatur wirklich loszulassen. Ein tiefer Kopf und Hals sagt nicht unbedingt etwas über die Vorhandlastigkeit aus. Leider hat man oft so viel Angst davor, dass man dem Pferd seine individuelle getragene Dehnungshaltung verweigert und ihm damit die Tragfähigkeit nimmt. Ein kleiner Hinweis noch: Die Nase vor der Senkrechten ist in allen Descentés ein absolutes Muss. Nur dann kommt Zug auf das Nackenrückenband und damit die wichtigste Voraussetzung für die Dehnungshaltung. Der Begriff "Vorwärts-abwärts" ist hier oft irreführend, da er ein schnelles Tempo mit tiefer Kopfhaltung suggeriert. Es geht aber um Traghaltung, d. h. um die Fähigkeit, den Rumpf und den Reiter durch die Muskelschlinge zwischen den Schulterblättern zu tragen - Schulterfreiheit eben! Liebe Grüße, Anja