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Von Missverständnissen

Wenn Pferd und Mensch aufeinander treffen, begegnen sich Fluchttier und Raubtier. Diese Erkenntnis allein ist zu pauschal, um eine Erklärung für viele Konflikte zu bieten, die im Alltag und Training oftmals auftreten. Es lohnt sich, ganz detailliert hinzuschauen, wie Pferde eigentlich kommunizieren, damit daraus ein Dialog auf Augenhöhe zwischen Mensch und Pferd entstehen kann. Ich erhebe nicht den Anspruch, dass meine nachfolgenden Ausführungen alle Bereiche abdecken. Sie sind vielmehr eine Zwischensumme der Erkenntnisse aus ganz alltäglichen Unterrichtssituationen, und aus Beobachtungen unserer eigenen kleinen Herde bestehend aus Dusk, Lena, Telynor und Havanna.

 

Pferde kommunizieren über Energie und Raum

 

Energie

Damit wir Menschen uns mit Pferden verständigen können, müssen wir verstehen, wie Pferde untereinander kommunizieren. Pferde sind extrem soziale Tiere, für die es überlebenswichtig ist, in einem harmonischen Herdenverband zu leben. Als Fluchttiere sind sie darauf angewiesen, ihre Umgebung und Herdenmitglieder permanent zu scannen, um das Eintreten einer Gefahr nicht zu versäumen.

 

So sind Pferde sehr sensibel für das Energiefeld ihres Gegenübers, egal ob zwei- oder vierbeinig. Energie ist ehrlich. Das Energiefeld verrät absolut zuverlässig, was in dem anderen vorgeht. In ihm zeigen sich Aspekte wie Angst, Unbehagen, Unwohlsein, Aufregung, aber auch Neugierde, Entspannung und Freude.

 

Hier liegt ein großes Konfliktpotential in der Begegnung zwischen Mensch und Pferd. Denn wie gehen wir Menschen mit unserem Energiefeld oder dem unseres Gegenübers um? Nun, oft gar nicht. In der zwischenmenschlichen Kommunikation spielen die Worte und der Tonfall die Hauptrolle. Vielen Menschen ist gar nicht bewusst, dass es diese Energiefelder überhaupt gibt. Weder bei sich selbst, noch bei Anderen, egal ob zwei- oder vierbeinig. Oder sie versuchen, darüber hinwegzutäuschen, z.B. Angst oder Wut zu überspielen. Leider funktioniert das nicht, das Pferd liest den Menschen trotzdem richtig.

 

Raum

Harmonie und ein gutes Auskommen mit den anderen Herdenmitgliedern sind ebenfalls überlebenswichtig für das Fluchttier Pferd. Daher haben Pferde ein sehr feines Raumgefühl entwickelt und kommunizieren über Raum. Damit das Miteinander funktioniert, verfügt jedes Individuum über einen genau definierten Individualbereich dicht um sich herum (Bubble), in den Andere nur auf Einladung hinein kommen dürfen. Ist das andere Pferd (oder Mensch) in der Rangordnung höher und dringt in diesen Individualbereich ein, weicht das rangniedere Pferd. Ist das andere Pferd (oder Mensch) in der Rangordnung niedriger, wird es aus dem Raum hinaus geschickt.

 

Das Beanspruchen von Raum geschieht meistens ganz unspektakulär mittels minimalistischer Handlungen. Meist merken wir Menschen gar nicht, dass das Pferd über Raum beanspruchen oder geben mit uns oder andern kommuniziert: Das Spiel der Ohren, die Positionierung des Kopfes, die Platzierung eines Vorderbeins, die Verlagerung des Gewichts sind nur einige Beispiele für in Pferdesprache glasklare Signale, ob das Pferd Raum einnimmt oder Raum gibt.

 

Die erst zweijährige Telynor ist neugierig und begrüßt den Neuzugang im Nachbarpaddock. Dabei zeigt sie sich äußerst respektvoll und beschwichtigend: Wegbiegen des Halses, geschlossene Augen, entspannte lange Nüstern, das rechte Ohr zeigt freundlich zu dem Wallach, zurückgestelltes linkes Vorderbein, die rechte Flanke zeigt zu dem fremden Pferd.

 

 

Die hohe Kopf-Hals-Haltung des Wallachs zeigt sein defensives Abwarten, wie sich die Situation entwickelt. Sein linkes Ohr ist Telynor ebenfalls freundlich zugewandt, die Nüstern sind entspannt, das Auge ruhig.

 

Pferde integrieren uns Menschen in ihr Herdenverständnis. Daher kommunizieren sie auch mit uns über Raum und lesen ganz genau, ob wir unsere Bubble behaupten, oder nicht. Weicht der Mensch aus – da reicht schon ein unscheinbares Neigen zur Seite, um nicht angestoßen zu werden – oder lässt er das Pferd überholen, schon signalisiert der Mensch dem Pferd, dass es im Herdenverband höher angesiedelt ist. Mit allen Konsequenzen für das weitere Miteinander.

 

Nur wenn wir Menschen unsere Achtsamkeit für die aus Pferdesicht überdeutlichen Signale schulen und sprichwörtlich unseren Platz behaupten, können wir ohne viel Aufwand und konfliktfrei mit Pferden umgehen und arbeiten. Das hat nichts mit Dominanz und Unterwerfung zu tun. Beides sind Begriffe, mit denen Pferde nichts anfangen können. Sie kommen in ihrer Welt nicht vor.

 

Dusk und ich warten bei einem Lehrgang am Rand der fremden Reitbahn darauf, dass wir an der Reihe sind. Wir stehen eng nebeneinander, lassen dem anderen jedoch genug Individualfreiraum. Während ich dem Kursgeschehen aufmerksam folge und im Schulterbereich nicht ganz entspannt bin, beschwichtigt Dusk sich und die Kurssituation: Halb geschlossenes Auge, von der Lehrgangssituation weggedrehte Ohren, entspannte lange Nüstern. Dusks leicht angespannter Unterhals spiegelt meinen leicht angespannten Oberkörper.

 

Balanceakt - Pferde sind Meister im Deeskalieren

 

Im Herdenverband stehen Harmonie und ein gutes Auskommen miteinander an erster Stelle. Das Fluchttier Pferd ist zum Überleben darauf angewiesen, dass sein Körper unversehrt bleibt. Jede Auseinandersetzung birgt die Gefahr einer Verletzung. Daher ist das Entschärfen von Konflikten für Pferde ein weiteres wichtiges Mittel in der Kommunikation.

 

Die Fuchsstute Lena ist unsicher, weil sie etwas wahrgenommen hat, und kommt aufgeregt auf Dusk zugelaufen. Obwohl Dusk der Herdenchef ist und die Stute sehr dicht in seine Individualblase hineinläuft, ignoriert er den Affront. Mit einer Zurechtweisung hätte Dusk riskiert, die beunruhigte Stute noch mehr zu verängstigen. Stattdessen  deeskaliert Dusk die Situation: Er wendet seinen Hals ab, die Ohren zeigen freundlich nach vorne, er verlagert sein Gewicht auf das linke, von der Fuchsstute abgewandte Vorderbein.

 

Pferde suchen ständig Ausgleich durch Beschwichtigen. Es liegt an uns Menschen, die Signale richtig zu lesen. Denn Pferde verfügen über ein vielfältiges Repertoire an Beschwichtigungssignalen. Mit ihnen werden Konflikte vermieden oder zumindest entschärft. Darüber hinaus dienen die Beschwichtigungssignale aber auch dazu, nicht nur das Umfeld, sondern auch sich selbst zu beruhigen, wenn sich Stress, Angst oder Unsicherheit einstellen.

 

Allein im Bereich des Kopfes gibt es jede Menge Beschwichtigungssignale. Um hier nur einige zu nennen:

  • Blinzeln
  • Die Augen halb schließen
  •  Wegschauen
  • Kauen
  • Gähnen
  • Die Zungen raus strecken
  • Den Kopf wegdrehen
  • Den Kopf senken
  • Fressen

 

Jungspund Havanna bringt Stimmung in die Herde und animiert Telynor, mit ihr über die Koppel zu galoppieren. Im Eifer des Gefechts wird dann auch mal eben der  Herdenchef Dusk äußerst respektlos mit der Schulter angerempelt. Wieder deeskaliert Dusk die Situation, indem er die jugendliche Ungehörigkeit ignoriert und stattdessen demonstrativ am Weißdorn knabbert.

 

Auch wir Menschen verfügen über Mechanismen, uns selbst zu beschwichtigen und in Einklang mit der Umwelt zu bringen. Der Säugling lutscht an seinem Daumen, bei Unsicherheit kratzen wir uns am Kopf oder an der Nase, Lachen entschärft angespannte Situationen.

 

Hilfszügel, Sperrriemen und eine harte Reiterhand sind aus vielen Gründen zu hinterfragen. Mit dem Wissen um die Beschwichtigungssignale verbieten sie sich einmal mehr von selbst. Ein Pferd, dessen Kopf am Körper fixiert und dessen Maul zugeschnürt ist, kann nicht mehr kommunizieren. In erzwungener Hilflosigkeit kann es noch nicht einmal sich selbst in Situationen von Anspannung und Stress herunterfahren.

 

Doch auch ohne den Einsatz solcher fixierenden Hilfen erlebe ich in meinem Unterrichtsalltag regelmäßig Situationen, in denen der Mensch das Pferd falsch liest und ungewollt einen Konflikt entstehen lässt. Ein typisches Beispiel: Bei der Bodenarbeit wird eine Stehpause eingebaut, um das Pferd zu loben, oder weil ich meinem Schüler etwas erklären möchte. Das Pferd nutzt die Pause sofort, um den Kopf wegzudrehen. Es beschwichtigt. Sich selbst und seine Umgebung. Beim Menschen kommt aber eine ganz andere Botschaft an. Für uns ist der Augenkontakt wichtig, wir wollen die Situation kontrollieren. Ein Wegdrehen des Kopfes heißt für den Menschen: Das Pferd passt nicht länger auf, es ist abgelenkt, es klinkt sich aus der Situation aus, es ist unhöflich. Das darf nicht sein, also wird der Kopf wieder zurückgezerrt.

 

Solche Situationen erlebe ich täglich. So harmlos sie erscheinen mögen, das Pferde befindet sich in einem unlösbaren Dilemma: Sein freundliches, auf sozialen Ausgleich bedachtes Beschwichtigen wird rüde unterbunden. Es hat keine Möglichkeit, den eigenen Stress abzubauen, der in der vorangegangenen Ausbildungssituation entstanden sein mag. Der Mensch wird für das Pferd noch schwerer lesbar, da er eine Geste des Respekts unflätig kommentiert.

 

Mit anderthalb Jahren ist Havanna neu auf dem Hollerhof eingezogen. Das Foto entstand, als sie das erste Mal ohne Zwischenzaun im Auslauf auf Dusk und Telynor trifft. Eine Ecke im Auslauf wird zum Engpass für Havanna, sie ist eingekeilt zwischen Elektrozaun, Telynor und Dusk.

 

Während Telynor mit angelegten Ohren, angespanntem Maul und Nüstern und dem Hindrehen ihres Kopfes und linken Vorderbeines dem neuen Jungpferd erklärt, dass sie hier nur geduldet ist, beschwichtigt Dusk im Hintergrund. Er steht leicht zwischen den beiden Stuten, beide Ohren zeigen freundlich nach vorne. Sein linkes Vorderbein ist vorgestellt und ermahnt Telynor, nicht zu streng zu sein. Havanna beschwichtigt Telynor, indem sie ihren Kopf abwendet und Fohlenkauen zeigt. Das linke vorgestellte Vorderbein signalisiert jedoch viel Selbstbewusstsein gegenüber der älteren Stute.

 

Meine Zeilen decken noch nicht einmal ansatzweise das unendlich spannende Thema der Kommunikation zwischen Pferden und Menschen ab. Vielleicht konnte ich aber Euer Bewusstsein etwas schärfen und Eure Neugierde wecken. Als akademischen Ausbilderin stehe ich gerne mit Rat und Tat zur Seite. Wer Lust auf Lektüre zu diesem Thema hat, dem sei das Buch von Rachael Draaisma „Language Signs & Calming Signals of Horses“ und die Bücher und Videos von Sharon Wilsie empfohlen.

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Eveline (Dienstag, 14 Januar 2020 12:31)

    Herzlichen Dank für die tolle Erklärung. Obwohl ich schon lange mit Pferden zusammen bin, war mir das mit dem Kopf weg drehen, bei einer Pause, nicht so bewusst. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass auch ich den Kopf wieder in die vorhergehende Position gebracht habe. Aber, aus Fehlern lernt man und wie man sieht, man lernt nie aus.
    Liebe Grüsse aus Schweiz

  • #2

    Kathrin (Freitag, 04 Dezember 2020 08:01)

    Auf der Suche nach right left extrovertierte Pferde bin ich auf diese Seite gekommen und ich muss sagen, super tolle Seite. Nach fast 15 Jahren, in dem ich einen Pferdekumpel auf meiner Seite hatte der mehr left als right war, besitze ich nun seit paar Wochen eine ältere Stute die mich Herausfordert. Bei ihr bin ich mir nicht sicher ob wie Angst hat oder mich testet. Gestern beim laufen im Wald wenn ich angehalten habe und die dabei noch Rückwärts geschickt habe, hat sie den Kopf auch abgewendet. Das nahm ich so nicht in Kenntnis warum sie das macht. Habe auf jeden Fall gleich 2 Bücher bestellt von Sharon.
    Grüsse aus der Schweiz